Von SAP rein in die Selbstständigkeit (Gastbeitrag #27)

Inga Wiele hat New Work und Design Thinking schon gedacht und in diesem Bereich gearbeitet als vor 10 Jahren noch niemand darüber sprach. Sie hat den sicheren Job bei SAP mit allen Vorzügen verlassen, um ihre Selbstständigkeit aufzubauen. Sie wollte sich mit 60 Jahren nicht fragen, was wäre passiert wenn sie ihre eigenen Ideen verfolgt HÄTTE und wagte den Schritt. Dabei gilt für sie nicht „selbst“ und „ständig“, sondern „eigen“ und „ständig“. Was das für sie genau bedeutet erzählt sie im heutigen Gastbeitrag.

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Wie werden wir in Zukunft leben und arbeiten?

  1. Wir werden freundlich sein
  2. Wir werden verstehen, wie Führung und Teamarbeit funktioniert
  3. Wir werden unglaublich gestaltungsstark sein
  4. Technologie interpretieren zu können wird eine magische Gabe sein.

„Mama – warum arbeiten Papa und Du eigentlich nicht mehr bei SAP? War es da nicht schön?“

Wie erklärt man seinem 17-jährigen Sohn, warum man einen Arbeitgeber verlassen hat, der eigentlich traumhafte Arbeitsbedingungen, ein überdurchschnittliches Gehalt und täglich den Umgang mit inspirierenden Menschen geboten hat?

„Am Anfang war es wirklich toll, am Ende immer noch sehr schön. Wenn Du Glück hast, findest Du irgendwann genau so einen Arbeitgeber. Ich kann Dir gar nicht genau sagen, warum wir irgendwann nicht mehr so richtig zufrieden waren, aber es war halt so.“

Vor über 10 Jahren haben wir uns dazu entschieden, einen neuen Weg der Erwerbstätigkeit einzuschlagen: Selbständigkeit.

Für uns hat das Wort übrigens wenig mit selbst und ständig zu tun, sondern viel mehr mit eigen und ständig. Verantwortung für sich selbst übernehmen trifft es ganz gut.

Ich komme aus einer Angestellten- und Beamtenfamilie. Interessanterweise hat mich dabei die Lebensweise meines Vaters sehr geprägt. Als Lehrer war er nachmittags viel zu Hause, hatte Zeit für meine Schwester und mich – und für meine Mutter 🙂 Oft hat er nachts gearbeitet, wenn wir bereits im Bett waren. 

Die Arbeitszeiten meiner Mutter lagen am Vormittag. Wenn wir nach Hause kamen wartete immer ein selbst gekochtes Essen auf uns. Ehrlich gesagt denke ich, dass sie ganz schön rödeln musste, um das so zu gestalten und sicher war das Umfeld, in dem sie arbeitete, eher konservativ. Es gab einen Chef, der ganz genaue Vorstellungen hatte. Die Arbeit meiner Mutter war vermutlich dahingehend selbstbestimmt, dass sie das Büro und seine Verwaltung so gestalten konnte, wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt hatte.

Ein großer Umbruch kam kurz vor ihrer Rente, als sie ein IT-gestütztes Kalkulations- und Rechnungssystem eingeführt wurde. Das hat sie vor eine große Herausforderung gestellt, aber meine Schwester und ich haben Sie ermutigt, einfach offen mit dem neuen Arbeitswerkzeug umzugehen. So hat sie diese Herausforderung auch gut gemeistert.

Doch zurück zu unserer Entscheidung, selbständig zu arbeiten.

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Große Teile unseres Umfelds waren ziemlich überrascht und viele fragten: „Habt Ihr keine Angst, dass es schiefgehen könnte?“
Dazu muss man sagen, dass es vor 10 Jahren noch keine so große Diskussion um „New Work“ gab, Home Office war eine Sache, von der man seine Vorgesetzten nur mit sehr vielen guten Argumenten und noch mehr Glück überzeugen konnte.

Ehrlich gesagt, hatten wir mehr Angst davor, was passieren könnte, wenn wir nicht versuchen würden, unsere Träume umzusetzen. Realistisch betrachtet, war es sowieso nicht groß, wir hätten sicher ohne Probleme wieder gute Arbeitgeber gefunden.

Wir wollten uns also nicht mit Anfang 60 fragen: „Was wäre gewesen, wenn wir damals mit Anfang 40 ausprobiert hätten, unser eigenes Ding durchzuziehen?“

Ist das, was wir gemacht haben, die Zukunft der Arbeit?

Ich weiß es nicht. Aber ich habe 4 Thesen:

1. Wir werden freundlich sein

Es wird vermutlich weiterhin Berufe geben, die eher von Routinen geprägt sind und welche, die sich täglich mit Ausnahmefällen beschäftigen. Die ersteren werden zunehmen, da die meisten Routinen automatisiert oder digitalisiert werden können.

Routinetätigkeiten, die es auch in Zukunft sicher geben wird, sind solche, wo ein persönlicher Service wichtig ist. Wenn wir in ein Restaurant gehen, freuen wir uns über ein freundliches Wort, ein Lächeln, eine aufmerksame Geste. Das macht den Unterschied. Das bringt mich zu meiner ersten Schlussfolgerung:

Wir werden freundlich sein


Ich glaube, dass es zunehmend wichtig sein wird, wie wir als Menschen miteinander umgehen. Charmant, geduldig und empathisch zu sein – echtes Interesse am Gegenüber zu haben, wird deshalb an Bedeutung gewinnen.

2. Wir werden verstehen, wie Führung und Teamarbeit funktioniert

Der internationale Wettbewerb wird zunehmen und am Ende werden sich nur diejenigen Volkswirtschaften behaupten können, denen es gelingt, auf eine kreative Workforce zurückgreifen zu können, die ständig noch bessere Lösungen entwickelt. Zuvorderst werden dies Themen sein, bei denen es um die Erhaltung der Umwelt und der Biodiversität geht. Gute Zusammenarbeit in Teams wird deshalb noch wichtiger werden. Unternehmen werden viel in die persönlichen Kompetenzen ihrer Mitarbeiter und deren Fähigkeit investieren, gemeinsam zu Höchstleistungen aufzulaufen.

Die Anfänge davon können wir schon heute sehen. Design Thinking oder der OODA-Loop, der uns dabei unterstützt, gute Entscheidungen zu treffen, sind Modelle, die uns erlauben, intuitive Muster sichtbar zu machen und dadurch gezielt zu reflektieren und sich selbst und andere besser zu verstehen.

Diese Modelle werden heute noch zu sehr als Handlungsanweisungen verstanden, um durch mechanische Nutzung Erfolge zu erzielen. In Zukunft werden diese Modelle kombiniert mit Methoden wie gewaltloser Kommunikation oder kollegialer Beratung uns helfen, reflektierter mit komplexen Situationen umzugehen.

Im Idealfall werden wir nur noch aus der sich entwickelnden Zukunft führen.

3. Wir werden unglaublich gestaltungsstark sein

Kombiniert mit reflektierter Freundlichkeit werden wir gewohnt sein, ständig ungewöhnliche Lösungen zu ersinnen, sie auszuprobieren und andere dazu zu gewinnen, sie mit uns gemeinsam umzusetzen.

In den Schulen werden die Kinder nicht mehr in Klassenverbänden lernen, sondern angeleitet durch Lernbegleiter regelmäßig neue Herausforderungen erhalten, für die sie sich entweder selbst im Internet das Wissen oder die Fertigkeiten aneignen oder sich an die jeweiligen Experten in der Schulgemeinschaft wenden. Jedes Kind wird ein Experte sein. Die einen sind gut in Mathe, Physik oder Informatik, andere können gut zeichnen oder Geschichten erzählen. Es wird Experten für Vermittlung in schwierigen Situationen geben und solche, die einfach super zuhören und zusammenfassen können. Und vermutlich wird es immer noch notwendig sein, viele Dinge auswendig zu lernen – oder nennen wir es lieber, zu verinnerlichen. Kreative Ideen kommen nie aus einem leeren Kopf…

In der Arbeitswelt werden wir diese Basis nutzen, um in Teams weitgehend selbstbestimmt an Aufträgen zu arbeiten. Wir werden uns nicht mehr vorstellen können, dass es eine Zeit gab, in die Vorgesetzten dachten, sie müssten alle Entscheidungen selbst treffen, um nicht für die Fehler von anderen den Kopf hinhalten zu müssen.

4. Technologie zu interpretieren wird eine magische Gabe sein

Was habt Ihr gedacht, als ihr das erste iPhone gesehen habt? Hättet Ihr Euch vorstellen können, dass Ihr irgendwann damit Eure Trainings aufzeichnet, Eure Bilder bearbeitet, über LinkedIn miteinander in Verbindung bleibt?  Dass es nicht mehr aus Euren Leben wegzudenken wäre?

Den Menschen bei Motorola fehlte diese Vorstellungskraft. Als Hartmut Esslinger von frog design das Konzept für das iPhone dort vorstellte, konnte sich niemand vorstellen, welches Potential in diesem Gerät steckte.

Wir werden zunehmend dazu übergehen müssen, unsere knappen Ressourcen nachhaltiger einzusetzen. Denkt einmal darüber nach, welche Potentiale in Zukunft alleine in der Sortierung und Wiederaufarbeitung von Müll liegen werden.

Heute fällt uns das schwer. Diese Kompetenzen werden heute in der Schule und in den meisten Unternehmen noch gar nicht trainiert. Viele glauben sogar, dafür gar keine Zeit aufwenden zu dürfen.

Ich bin mir sicher, dass zukünftige Generationen über unsere Art des Denkens den Kopf schütteln werden.

Dieser Text ist wie von selbst aus meinem Kopf geflossen. Im Augenblick klingt er für mich wie eine Utopie. Sicher reichen diese Punkte nicht aus, aber es ist ein Anfang.

Von einem jedoch bin ich überzeugt:

Wir werden viel mehr in Synergien und Potentialen denken, in Ermunterung und in Vertrauen investieren.

Die Alternative möchte ich nicht denken.


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Bildrechte: Pepe Lange

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Den letzten Gastbeitrag findet ihr hier!

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